Medizintechnik für Frühgeborene. Gemeinsam als Lebensretter: Mensch und Maschine

Nachfolgend lesen Sie einen Auszug aus dem Artikel von Medizintechnologie.de über die neuesten Erkenntnisse in dem Bereich Neonatologie. Den ganzen Artikel können Sie unter folgendem Link lesen Gemeinsam als Lebensretter: Mensch und Maschine

Moderne Medizintechnik hat die Überlebenschancen von Frühgeborenen in den vergangenen Jahren deutlich gesteigert. Verbesserungspotenzial gibt es beim Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Ärzte fordern daher zum Beispiel die Integration von Videomodulen in medizintechnische Geräte, um die Behandlung anonymisiert evaluieren und verbessern zu können. In Zukunft könnten auch Wearables in der Neonatologie ein wichtige Rolle spielen. (von Beate Wagner)

1. Medizintechnik verschiebt die Grenze des Lebens

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In Deutschland kommen jährlich etwa 50.000 Kinder nach weniger als 37 Schwangerschaftswochen zur Welt. Die Zahl hat sich seit zehn Jahren nicht verändert. Es gibt aber 65 Prozent mehr „extrem“ Frühgeborene, also Kinder, die wie die kleine Anne vor der 28. Schwangerschaftswoche entbunden werden. Diese Babys wiegen oft nicht mehr als 500 Gramm. Um zu überleben, müssen sie intensivmedizinisch betreut werden.

Frühgeborene brauchen hochsensible Technik

Die kleinen Patienten stellen große Herausforderungen an die Medizintechnik. Denn je früher ein Kind geboren wird, desto unreifer sind seine Organe. Vor allem das unfertige Gehirn, die Lunge und die Augen sind bei den extremen Frühgeborenen noch sehr verletzlich. Innovative Entwicklungen der Medizintechnik tragen aber dazu bei, dass typische akute Frühgeborenschäden immer seltener auftreten. Studien zeigen zudem: Auch die Langzeitprognose der Kinder hängt nicht – wie früher angenommen – vor allem von der Unreife der Kinder ab, sondern von der Qualität der medizintechnischen Versorgung. Das heißt, je professioneller die Kinder von der ersten Lebensminute an behandelt und medizintechnologisch unterstützt werden, desto mehr Chancen haben sie auf ein Leben ohne langfristigen geistigen oder körperlichen Einschränkungen. (Professor Christoph Bührer  Quelle: Charité)

Inkubator statt Gebärmutter

Auf der Frühgeborenen-Intensivstation der Charité muss man die winzigen Patienten daher zwischen blinkenden Monitoren, Apparaturen und Schläuchen aller Art in ihren Hightech-Brutkästen regelrecht suchen. Die  sogenannten Inkubatoren sorgen für eine gleichbleibende Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Sauerstoffdruck. Sie sind mit einem Überwachungsgerät verbunden, auf dem Monitor können EKG, Puls, Sauerstoffsättigung, Atemfrequenz und andere lebenswichtige Kontrolldaten der Babys abgelesen werden. Je nach Zeitpunkt der Geburt verbringen die Kleinen mehrere Wochen, manchmal auch bis zu vier Monate in diesen Klein-Biosphären.

3. Individualisierte und automatisierte Beatmung

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Leoni plus mit CLAC Option

Ein weiteres heikles Thema bei den kleinsten Frühchen ist die künstliche Beatmung. Denn die Lungen sind noch sehr unreif, die Atemwege besonders anfällig für chronische Lungenschäden. Neue individuelle Lösungen sollen Abhilfe schaffen. Etwa jedes zweite Kind unter 1.000 Gramm ist langfristig auf eine Atemunterstützung angewiesen. Doch wie kann diese gleichzeitig schonend und ausreichend erfolgen? Dieser Frage gingen Neonatologen mehrerer deutscher Kliniken nach. Profitieren die kleinen Patienten eher von einer intensiven Beatmung mit einem hohen Sauerstoffpartialdruck – oder entwickelt die Lunge sich besser, wenn die maschinelle Beatmung auf
weniger intensive Drücke programmiert wird?

Es gibt erste wissenschaftliche Hinweise darauf, dass eine automatisierte Sauerstoffabgabe an Frühgeborene effektiver ist, als eine manuelle. Eine Unter- oder auch Überdosierung kann damit eher verhindert werden. (Quelle: BVmed).

Bei der weniger intensiven Variante wird ein niedrigerer Beatmungsdruck eingesetzt, mit der Folge, dass der CO2-Anteil in der Ausatemluft und im Blut etwas höher liegt. Die Vergleichsgruppe wurde mit etwas mehr Beatmungsdruck und dafür nur leicht erhöhten CO2-Spiegeln behandelt. „Ziel war es, zu prüfen, ob solche wenig intensiven Beatmungseinstellungen, die mit einem kurzzeitig höheren Kohlendioxidanteil einhergehen,
für die Lungenentwicklung langfristig besser sind“, erklärt Ulrich Thome von der Neonatologie am Universitätsklinikum Leipzig. Das Ergebnis hat den Experten überrascht. „Wir mussten feststellen, dass der Einsatz von weniger Druck nicht zu besseren Ergebnissen führt“, so der Leiter der Multizenter-Studie. Ein hoher CO2-Wert schädige die Epithelzellen in der Lunge mehr als gedacht.

Frühgeborene profitieren von intensiver Beatmung

„Für die Lungenfunktion und das Überleben extremer Frühchen ist daher eine etwas intensivere Beatmung , die nur leicht erhöhte CO2-Spiegel zulässt durchaus empfehlenswert“, schließt der Leiter der Leipziger Neonatologie (Professor Ulrich Thome Quelle: Universitätsklinikum Leipzig). Für die randomisierte Multizenter-Studie wurden innerhalb von vier Jahren in 16 Perinatalzentren in Deutschland insgesamt 359 Patienten untersucht. Alle Frühchen waren zwischen 400 und 1.000 Gramm schwer und konnten noch nicht ohne Beatmungsgerät allein atmen. Für die Zukunft erwartet Thome zudem mehr „intelligente Beatmungsgeräte“. „Sie passen die
Sauerstoffabgabe automatisch an die individuellen Bedürfnissen des Kindes an“, beschreibt der Frühchen-Experte. Bei der herkömmlichen Einstellung legen Ärzte die Sauerstoff-Sättigung manuell fest. Die gekoppelte
Sauerstoffabgabe mindert wahrscheinlich Risiken für beispielsweise die sogenannte Frühgeborenenretinopathie. Das ist eine bedrohliche Erkrankung des Auges, die bis zur Erblindung führen kann. Sie tritt auf, wenn
Frühgeborene zu viel Sauerstoff (O2) bekommen, der Sauerstoff-Partialdruck also zu hoch ist. Dann wirkt das Gas toxisch, es drohen Schäden an der Netzhaut des kindlichen Auges.

Zu hohe Sauerstoffschwankungen schaden der Lunge

Momentan diskutieren Experten noch, welche arterielle Sauerstoff-Sättigung (SpO2) optimal ist. „Es gibt aber Hinweise, dass vor allem große Schwankungen vermieden werden sollten“, sagt Thome. Ziel der automatisierten Beatmung ist es, die kleinen Patienten mit so viel Sauerstoff wie nötig zu versorgen, dabei aber zu hohe oder schwankende Sauerstofflevel zu vermeiden, um die O2-Toxizität zu minimieren. Eine aktuelle, wenn auch kleine Studie zeigte erste Hinweise auf die Wirksamkeit der automatisierten Sauerstoffabgabe. An vier Kliniken verglichen Wissenschaftler, wie lange ihre 34 kleinen Patienten optimal beatmet wurden, wenn die Sauerstoffgabe manuell oder
automatisiert erfolgte. Ergebnis: Bei der an den kindlichen Bedarf gekoppelten Sauerstoffgabe war der Zeitraum der optimierten Sauerstoffzufuhr um elf Prozent länger als bei manueller Einstellung.

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